Wilhelmina und der Trustl
Wilhelmina Shakespeare saß in ihrem Zimmer und starrte aus dem Fenster, draußen war ein richtiges Sauwetter. Der Himmel war behangen von dicken, dunkelgrauen Wolken ein heftiger Wind ließ die Bäume vor ihrem Haus hin und her schwanken. Regentropfen trommelten in einem deprimierenden Rhythmus auf das Dach des Hauses und gegen ihre Fensterscheiben. Allerdings war es nicht das Wetter welches Wilhelmina schwermütig werden ließ. Es war die Tatsache dass sich keiner für ihre Ideen und Geschichten, welche ihr pausenlos einfielen, interessierte. Immer wenn sie ihrem Vater, ihrer Mutter oder eines ihrer 5 Geschwistern eine ihrer Geschichten erzählen wollte, hatten diese meist keine Zeit um sich diese an zuhören oder einfach keine Lust sie zu hören. Ja sogar wenn sie ihrem jüngsten Bruder Edmund eine Gute Nacht Geschichte erzählen wollte, lehnt dieser ab und wollte stattdessen lieber aus einem Buch vorgelesen bekommen.
Wilhelmina war verzweifelt, seit sie lesen und schreiben gelernt hatte, und das war schon in sehr jungen Jahren, kamen ihr immer wieder neue, tolle Geschichten und sogar Theaterstücke in den Sinn. In ihrem Kopf war dann nicht bloß der Text zu den Geschichten oder Theaterstücken, sie stellte sich das alles ganz genau und bildlich vor. Wie die Figuren auf einer Bühne standen, wie sie sich bewegten, wie sie mit einander Sprachen, ja sogar wie das Bühnenbild dazu aussehen sollte. Ebenso liefen die Geschichten die sie sich ausdachte wie ein Film vor ihrem geistigen Auge ab, nur dass es zu ihrer Zeit noch keine Filme gab, aber das nur nebenbei. Angefangen hatte das Alles als ihr Vater sie eines Tages mit in ein Theater genommen hatte. Wilhelmina war überwältigt gewesen von der Atmosphäre und der Stimmung, den Kostümen und der Ausstrahlung der Darsteller. Kurz darauf kam sie in die Schule und ihre Lehrer merkten schon sehr früh dass die kleine Wilhelmina Shakespeare ein ganz außergewöhnliches Kind war. Sie las sehr gerne und interessierte sich schon von klein auf für Geschichte. Leider hatten ihre Eltern wie schon erwähnt nicht die Zeit sich mehr um sie zu kümmern und ihr Talent zu fördern. Und so saß sie wieder einmal, niedergeschlagen und betrübt in ihrem Zimmer und fragte sich ob sie einfach mal ihre Geschichten auf schreiben sollte oder sie besser vergessen sollte. Da es ja offensichtlich niemanden gab der an ihnen Interesse hatte.
Da bemerkte sie aus dem Augenwinkel dass sich etwas neben ihrem Schrank bewegt hatte. Obwohl sie sich sicher war dass es nichts weiter als eine Maus gewesen war, blickte sie zu ihrem Schrank hinüber. Sofort weiteten sich ihre Augen, sie blinzelte mehrmals da sie sich nicht sicher war, ob das was sie da sah wirklich war oder ihr ihre Fantasie einen Streich spielte. Neben dem Schrank stand ein kleines Wesen. Es mag ungefähr so groß gewesen sein wie 3 Äpfel, wenn man diese übereinander stapelte, hatte einen mit hellbraunem Fell überzogenen Körper, große Füße mit 4 Zehen und einen runden, haarlosen Kopf mit abstehenden Ohren und einer kleinen knubbeligen Nase. Aus großen freundlichen Augen schaue es Wilhelmina an. Als das Wesen sicher war das ihm Wilhelmina´s Aufmerksamkeit galt winkte es ihr zu. Dem Mädchen stand vor erstaunen der Mund offen. Auf seinen großen Füssen watschelte es geschwind zu ihr herüber und blieb zu ihren Füssen stehen. Das Wesen verbeugte sich höflich und sagte dann mit einer unerwartet tiefen, aber angenehmen Stimme: „ Hallo, habe ich das Vergnügen mit der großen und berühmten Schriftstellerin Wilhelmina Shakespeare zu sprechen?“ Als Wilhelmina dies hörte wurden ihre Augen noch größer. „Ich heiße zwar Wilhelmina Shakespeare, aber ich bin weder eine Schriftstellerin noch bin ich berühmt. Um ehrlich zu sein will niemand meine Geschichten hören, geschweige denn lesen“, sagte Wilhelmina wahrheitsgemäß. Das kleine Wesen legte seinen Kopf schief, sah sich kurz im Zimmer um und kratze sich dann am Kopf. „Komisch, die Adresse stimmt“, sagte es, dann holte das Wesen eine Art Uhr hervor und begann zu fluchen, „verschrumpeltes Zwiebel und Kürbislaub jetzt bin ich an der 5. Zeitecke wieder falsch abgebogen. Ich bin zu früh“. Wilhelmina verstand kein Wort, aber die Anwesenheit dieses Männchens faszinierte sie total. „Wer bist du? Woher kommst du? Willst du etwas von mir? Wofür bist du zu früh?“, sprudelte es aus Wilhelmina heraus. „Oh wo sind nur meine Manieren? Entschuldige bitte, Hallo ich bin Felix Hollpudding, ich bin ein Trustl, oder auch Zeitwichtel genannt. Wir reisen durch die Zeit und hm ja tun dies und das. Ich hätte eigentlich die ältere Wilhelmina Shakespeare besuchen sollen, ich ähm naja ich brauche nämlich ihre Hilfe“, sagte Felix Hollpudding.
Wilhelmina glaubte nicht was sie da hörte, oder sie wollte es zumindest nicht glauben. Das konnte es doch gar nicht geben und was könnte dieses, wie hatte es sich genannt? Trustl, von ihrem älteren Ich wollen? „Wobei soll ich, oder die ältere Wilhelmina Shakespeare dir denn helfen?“ fragte das Mädchen vorsichtig. Irgendwie kam ihr das alles nicht ganz geheuer vor. „Naja, es ist für mein Schulprojekt, ich bin auf einer Künstler und Schauspiel-Akademie und für meine Abschlussprüfung muss ich ein kleines Theaterstück inszenieren. Ich kann sehr gut organisieren und auch perfekt alles in Szene setzen. Ja sogar als Schauspieler bin ich sehr begabt…“ erklärte der Trustl, hielt inne, lief zu einem herumliegenden kleinen Ball, hob diesen hoch und sprach dann den Ball anblickend weiter, „ Sein oder nicht Sein, das ist hier die Frage: ob edler im Gemüt die Pfeil und Schleudern, des wütenden Geschicks erdulden, oder…, oh hoppla das kennst du ja noch gar nicht, hihi“ Wilhelmina verstand kein Wort und schaute Felix nur fragend an. „Was ich leider noch nicht wirklich kann“, fuhr Felix fort, „ist das Schreiben von Theaterstücken. Mir fehlen dazu die Inspiration und die Ideen. Allerdings gehört das zur Prüfung mit dazu. Wir dürfen uns da aber Hilfe holen, und ich dachte mir dann frage ich doch am besten die berühmteste Autorin die es gibt.“ Erklärte der der Trustl zu Ende und lächelte Wilhelmina freudig an. „Ich bin aber leider keine Autorin und schon gar nicht berühmt“ gab Wilhelmina mit einem traurigen Tonfall in ihrer Stimme zu.
„ Ja noch nicht, aber … ach Mist ich hätte besser aufpassen sollen, wo ich abbiege. Aber es hilft nix. Ich hab meine Zeitsprünge für heute leider schon fast ausgereizt. Kannst du mir nicht vielleicht doch helfen? Es muss kein großes Theaterstück werden, es reicht etwas Kleines für 2 Personen oder so. Hast du nicht vielleicht eine Idee zu einer kleinen Geschichte?“ klagte Felix Hollpudding. Wilhelmina glaubte nicht was sie da hörte, da wollte Jemand eine ihrer Ideen hören, da war Jemand an einer Geschichte von ihr interessiert. Das war zu schön um wahr zu sein. „ Ja natürlich helfe ich dir,“ sagte Wilhelmina aufgeregt, sie musste sich zusammen reißen, um es nicht einfach laut hinaus zu jubeln,“ gibt es eine Vorgabe oder eine Richtung in die es gehen muss?“ „Ach ja , oh das hatte ich vergessen zu erwähnen also in der Prüfungsaufgabe steht, es muss um einen Geist gehen, um 3 Kristalle und am Ende muss es ein Happy End geben,“ gab der Trustl die Bedingungen wieder. Wilhelmina Shakespeare kratze sich kurz hinterm Ohr dann begann sie breit zu grinsen. „Ich hab eine Idee, komm wir gehen rüber zu meinem Schreibtisch.“ Sie hob Felix hoch und trug ihn zu ihrem Schreibtisch, er setzte sich neben das Tintenfass und blickte das Mädchen erwartungsvoll an. Wilhelmina nahm ein paar Bögen frisches Papier, tauchte ihre Feder in die Tinte und erklärte dann Felix Hollpudding ihre Idee. „ Also das Stück spielt in einem alten Theater, dorthin ist ein Geist geflogen und hat sich versteckt. Ein Geisterjäger hat diesen dann bis in das Theater verfolgt. Der Geisterjäger kann den Geist dann auch mit der Hilfe von 3 magischen Kristallen aufspüren. Als sich die Beiden dann gegenüberstehen, kommt heraus, dass der Geist in einer falschen Zeit und Dimension lebt, so beschließt der Geisterjäger den Geist wieder in dessen richtige Zeit zurück zu schicken. Doch der Geist will gar nicht zurück und will lieber in dem schönen Theater bleiben. Also stibitzt er dem Geisterjäger mit einem Trick die 3 Kristalle. Jedoch hat dies zur Folge dass das Theater einzustürzen droht. Das möchte der Geist auf keinen Fall also gibt er ihm die Kristalle wieder zurück und wird so wieder in seine Zeit zurück geschickt. Wie findest du das?“ Fragt Wilhelmina den Trustl aufgeregt. „Naja an sich sehr gut aber ein wirkliches Happy End ist das irgendwie nicht. Wie findest du das, der Geist kehrt plötzlich unerwartet zurück und kann durch einen magischen Trick das Theater vor dem Einsturz bewahren. Dann freunden sich beide an und beschließen ab diesem Zeitpunkt gemeinsam durch die Welt zu ziehen?“ schlägt Felix Hollpudding vor. „Große Klasse, so machen wir das. So nun schreiben wir das Ganze schön ordentlich auf und würzen das Ganze noch mit lustigen Dialogen und ein paar Witzen“, Wilhelmina war voll in ihrem Element. „Großartig, das klingt fabelhaft“, der Trustl klatsche Beifall.
Als sie fertig waren spielten sie das Stück zusammen in Wilhelmina´s Zimmer probeweise durch und fanden es sehr gelungen. „Ich wusste doch dass du es kannst, ich bin dir sehr, sehr dankbar, so werde ich meine Prüfung auf jeden Fall bestehen,“ freute sich der Trustl. „Werden wir uns jemals wiedersehen?“ fragte Wilhelmina. „ Gut möglich, man weiß nie was einem die Zeit so alles beschert, “ Felix zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Er klemmte sich die Bögen-Papier mit dem Theaterstück darauf unter den Arm und lief wieder zum Schrank hinüber. Dort drehte er sich noch einmal zu Wilhelmina um: „Lass dich nie entmutigen und glaube an dich!!“ dann war er plötzlich verschwunden.
Wilhelmina ging wieder hinüber zum Fenster und spähte nach draußen. Diesmal hatte sie aber gute Laune. Sie hatte für sich beschlossen, dass sie von nun an ihre Ideen und Geschichten aufschreiben würde. Nicht unbedingt für Andere sondern in erster Linie für sich selber, da es ihr großen Spaß gemacht hat und wenn sie wirklich einmal eine berühmte Autorin werden sollte dann war das ein sehr schöner Nebeneffekt. Sie fand es nur sehr schade dass wohl niemals ein Mensch das allererste Stück was sie je geschrieben hatte zu Gesicht bekommen würde …
Ende.
– Manuel Kosub